Das Wichtigste an einem Abenteuer sind für mich oft die Menschen, die dabei sind. Wenn es in Strömen regnet, sind es ihre lustigen Bemerkungen, die mich wieder zum Lachen bringen. Wenn ich wieder zu Hause bin, sind es die gemeinsamen Moment, die ich am meisten vermisse – ganz egal, ob ich diese Menschen gerade erste kennengelernt hatte. Warst du auch schon mal auf einer Tour mit einem Menschen, den du noch nie vorher getroffen hast? Tristan und Belén sagen, der beste Weg einen Menschen kennenzulernen, ist zusammen Bikepacking zu gehen – Wildcampen und Pannen inklusive. Lies ihre Geschichte und finde heraus, wie sie die TranSardinia erlebten, zusammen mit einem Paar, das sie gerade erst persönlich kennengelernt hatten – und wie sie gemeinsam eine fast vergessene Route wiederentdeckten.
Catherine
Chefredakteurin Notes from Outside
Wenn es irgendetwas gibt, das für meine Generation charakteristisch ist, dann sind es Online-Freundschaften. Als ich jünger war, verbrachte ich ganze Nachmittage nach der Schule am Computer, um mit meinen Freunden zu chatten. Mit den gleichen Freunden, die ich vorher schon den ganzen Tag in der Schule gesehen hatte. In meinen späteren Teenagerjahren kamen die sozialen Medien auf und mit ihnen die Möglichkeit, Kontakte mit wildfremden Menschen auf der ganzen Welt zu knüpfen, völlig unabhängig von räumlichen Entfernungen. Und so habe ich in den letzten zehn Jahren über Onlineplattformen wie Instagram viele wunderbare Menschen kennengelernt – unter anderem meinen Partner Tristan. Und bei der Auswahl der Protagonisten für unser letztes Buch sind wir auf Sam und Bec gestoßen, die bald unsere Komplizen in Sachen Gravel-Abenteuer werden sollten.
Nach einem Sommer voller Bikepacking quer durch Europa hatten wir als letztes Ziel für das Jahr 2021 Sardinien im Visier: Die italienische Mittelmeerinsel ist bekannt für ihre smaragdgrünen Buchten und kargen Landschaften – und deshalb bei Touristen ziemlich beliebt. Wir haben uns gefragt, wie es dort wohl außerhalb der Saison aussehen würde, wenn die meisten Urlauber wieder zuhause sind.
Bei unserer Recherche zu bereits bestehenden Routen haben wir nach einiger Zeit die TranSardinia entdeckt: auf einer ziemlich veraltet aussehenden Website, komplett mit jahrzehntealten Blogeinträgen und dem Originaltrack als PDF zum Downloaden. Die Tatsache, dass wir die komplette Route nachzeichnen mussten und neu dokumentieren konnten, machte die Tour für uns nur noch interessanter. Dazu wäre es die perfekte Gelegenheit, endlich Sam und Bec im echten Leben zu treffen. Nachdem die beiden durch Covid eine lange Fahrradpause einlegen mussten, brauchte es nicht viel Überzeugungsarbeit, um sie mit an Bord zu holen. Die Worte „Radfahren“, „tolles Wetter“ und „großes Abenteuer“ waren genug und sie waren sofort dabei.
Ein paar Wochen später trafen wir uns in Olbia einer Küstenstadt im Nordosten der Insel, mit einer Uferpromenade voller Palmen und einem trubeligen Hafen. Als wir die zwei ihre Fahrräder aus den Transportboxen auspacken sahen, versteckten wir uns zuerst und überraschten sie dann. Sam war tatsächlich genauso lustig wie bei unseren Videocalls: Er begrüßte uns mit einer kräftigen Umarmung und einem herzlichen Lächeln. Genau wie Bec, die voller Temperament steckte und mit jedem Wort positive Energie ausstrahlte. Wir spürten gleich, dass wir wunderbar zusammenpassen würden. Nachdem wir gegenseitig unsere Ausrüstung begutachtet und diverse Schrauben und Gurte angepasst hatten, brachen wir auf ins Ungewisse: auf einem anspruchsvollen Weg, von dem wir nur eine unzuverlässige Kopie des Originals als GPX-Track hatten.
Die TranSardinia erstreckt sich über fast 450 Kilometer meist unbefestigte Straßen und Wege im Zentrum der Insel abseits der Touristengebiete. Und sobald wir die Küste hinter uns gelassen hatten, verwandelte sich die Landschaft in ein karges Panorama mit beeindruckenden Felsformationen, die uns an die Nationalparks in Utah erinnerten. Also an die, die wir beim Scrollen durch unsere Instagram-Feeds gesehen hatten. Aber anders als in Utah hatten wir diese hier ganz für uns allein. Vier Leute, die mit ihren Fahrrädern große Staubwolken vor noch größeren Felsen aufwirbelten und in jeder Kurve einen neuen Witz auf den Lippen hatten.
Wenn du mit anderen zusammen fährst, kannst du nie genau vorhersagen, wie die Gruppe zusammenhalten wird. So kompatibel ihr auch zu sein scheint, der Trail kann das Beste und das Schlimmste aus uns hervorholen. Hunger, Erschöpfung, Unterschiede im Rhythmus. Schon die kleinsten Unterschiede können die eigenen Grenzen herausfordern.
Für Tristan ist das Dokumentieren unserer Tour mit Videos und Fotos das Wichtigste, aber wenn er nach jeder dritten Kurve sein Stativ aufstellt, unterbricht das einfach den Rhythmus der Fahrt. Sam schlägt am liebsten mindestens eine Stunde vor Sonnenuntergang das Lager auf, damit er noch Tageslicht zum Kochen hat, während es Bec am besten geht, wenn genügend Kaffee- und Snackpausen eingeplant sind. Mir persönlich ist es besonders wichtig, die Tagesziele zu erreichen und damit organisatorische Probleme zu vermeiden, zum Beispiel, dass mitten im Nirgendwo das Wasser ausgeht.
Umso überraschender war es daher, dass unser erster Rückschlag nichts mit persönlichen Vorlieben zu tun hatte, sondern mit einem verschlossenen Tor und Schildern, die uns auf ein Privatgelände hinwiesen. Das war bitter, denn bis dahin hatten wir unserer Route blind vertraut. Und plötzlich von einem Tor am Weiterfahren gehindert zu werden, fühlte sich so an, wie wenn man als Kind erfährt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Eine schlagartige Ernüchterung, auf die man einfach nicht vorbereitet war.
Den ganzen Morgen hatten wir uns auf staubigen Pfaden immer weiter nach oben gekämpft und als dieses scheinbar unüberwindbare Hindernis uns zum Stehen brachte, zerbrach der ganze Plan, den wir uns vorgenommen hatten, in kleine Stücke.
Im selben Moment fiel mir auf, dass mein Umwerfer nicht mehr richtig schaltete, und mein Fahrrad praktisch in ein Singlespeed verwandelte. Ein perfekter Doppelschlag in die Magengrube für unsere Motivation. Dieser Route konnten wir nicht trauen, das hatten wir deutlich gesehen. Und schnell wurde uns klar, dass wir den puristischen Ehrgeiz, uns strickt an die Originalroute zu halten, aufgeben, und uns stattdessen auf das wahre Ziel unserer Tour konzentrieren mussten. Schließlich waren wir hier, um zehn Tage lang eine gute Zeit miteinander zu verbringen – unabhängig von der Route. Also ließen wir uns von komoot zum nächsten Bahnhof routen und fuhren mit dem Zug zurück nach Olbia, um dort am nächsten Morgen mein Schaltwerk reparieren zu lassen. Kurze Zeit später waren wir wieder unterwegs: mit einer improvisierten Zusammenstellung von Straßen und der Hoffnung, dass uns sardische Tore, Zäune und Schranken von nun an in Ruhe lassen würden.
Die vorgegebene Route aufzugeben und unseren Weg selbst zu bestimmen, bedeutete für uns, dass wir unsere Gemeinschaft und die Umgebung auf eine neue, entspannte Art genießen konnten. In jedem kleinen Ort für einen Kaffee anzuhalten, war von da an geradezu Pflicht. Wir schmeckten uns durch den Reichtum der Ristrettos, Macchiatos, Cappuccinos und der dreizehn anderen Arten von Kaffee und saugten den Zauber der malerischen Dörfer auf, während wir über Gott und die Welt quatschten. Wir rauschten durch grandiose Landschaft voller Naturdenkmäler: die karstige Hochebene der Supramonte, das Gennergentu-Massiv und die karge Hochebene des Bruncu Senzu. Die neue improvisierte Route enthielt zwar mehr Asphalt, enttäuschte uns aber an keiner Stelle. Stattdessen hatte die Insel ganz schnell unsere Herzen erobert.
Während der Tage und Nächte die folgten, entdeckten wir alle unsere ganz eigenen Bikepacking-Leidenschaften. Wer öfter mit anderen auf Abenteuertouren unterwegs ist, hat vielleicht schon festgestellt, dass die Motivation bei allen ziemlich ähnlich ist: frische Luft tanken, unbekannte Orte entdecken, neue Leute kennenlernen. Und doch steckt dahinter fast immer auch eine persönliche Note. Für Sam war die Tour eine Chance, seine (ohnehin schon exzellenten) Camping-Kochkünste zu verbessern – und uns bei fast jeder Gelegenheit mit köstlichstem Essen zu verwöhnen. Bec war nach einem Jahr Bürojob wild entschlossen, auf dem rauen sardischen Schotter ihre Fahrtechnik zu verbessern und sich so für ihre zukünftigen Bikepacking-Pläne vorzubereiten. Und Tristan und ich? Uns war das Konzept „Bikepacking mit anderen“ noch ziemlich neu, und so wollten wir herausfinden, ob diese Tour eine Freundschaft festigen konnte.
Aber was bedeutet es eigentlich, jemanden wirklich zu kennen? Und wie kommt so etwas wie Freundschaft überhaupt zustande? Wir wissen nicht, ob es darauf eine allgemeingültige Antwort gibt, aber was wir sagen können ist, dass ein Abenteuer draußen in der Natur sehr zu ihrer Entwicklung beitragen kann. Als Tristan und ich begannen, zusammen Rad zu fahren, hielten unsere Familien es für ein großes Risiko, so viel Zeit miteinander zu verbringen. Und es stimmt schon: Eine Fernbeziehung gegen ein 24/7-Abenteuer einzutauschen – inklusive einer kompletten Neudefinition des Konzepts Privatsphäre – kann man als gewagten Schritt bezeichnen. Aber trotzdem: Zusammen campen, kochen, Rad fahren und überhaupt viel Zeit miteinander zu verbringen ist ein Risiko, dass es lohnt einzugehen, wenn man Menschen wirklich kennenlernen will – egal, ob es sich um Familie, Freunde oder völlig Fremde handelt. Denn das ist es, was passiert. Und noch mehr: Wenn es darauf ankommt, dass alle ihr Fahrtempo anpassen, bei einem Streit am Straßenrand Empathie zeigen, im Camp – oder auf dem Buschklo – die Privatsphäre respektieren und für Unterstützung bei den täglichen Aufgaben Dankbarkeit zeigen, lernt man ganz viel über die einfachen sozialen Interaktionen, die man im täglichen Leben oft übersieht.
Für uns bestätigte diese Reise mit Sam und Bec in diesen letzten Oktobertagen unser ursprüngliches Gefühl und die Einschätzung, die wir voneinander hatten. Was zuvor über das Netz klappte, funktionierte genauso gut in der physischen Welt. Von all den Situationen und Gefühlen, die diese Radtour mit sich brachte, empfanden wir fast keine als negativ. Weder die unfreiwilligen Routenänderungen, noch die fehlenden Duschen und auch nicht den Mangel an Keks-Pausen. Und die wenigen, die es doch gab, dienten als wertvolle Lektionen über die eigene Persönlichkeit und die der anderen. Sams feines Gespür beim Kochen und seine weisen Worte, Becs unerschütterliche positive Einstellung, Tristans Unbeirrbarkeit bei der Dokumentation der ganzen Reise und mein organisatorisches Bemühen, die Gruppe mit genügend Energie, Essen und Wasser bis ans Ziel am Ende des Tages zu bringen, waren die perfekten Zutaten für ein ganz besonderes, mit Liebe zubereitetes Bikepacking-Abenteuer.
An unserem letzten Übernachtungsplatz, hoch oben auf dem Berg, mit Blick auf die funkelnden Lichter in der Bucht von Cagliari – dem Endpunkt der TranSardinia – beendeten wir unsere Tour bei einer einfachen chinesischen Reispfanne mit Kohl. Der aufsteigende Dampf aus den Tellern, das Lächeln auf unseren Gesichtern und die schweren Augen bildeten den Rahmen für unser gemeinsames Fazit. Wahre Freundschaft ist selten, aber ich glaube, das Fahrrad hatte uns wieder einmal geholfen, sie zu finden.
Text & Fotos: Tristan Bogaard und Belén Castelló
Tristan Bogaard und Belén Castelló machen Fahrrad-Abenteuer, fotografieren Bikepacking-Events und sind komoot Ambassadors. Seit 2017 waren sie mit dem Rad auf vielen Touren durch zahlreiche Länder unterwegs, haben diese in Videos und Fotos dokumentiert und zwei Bildbände zum Thema veröffentlicht: Bike Life und 50 Ways to Cycle the World. Schau dir ihre TranSardinia Collection an und folge ihnen auf komoot.