Manche Sportevents fühlen sich so an, als wären sie nur für die anderen gemacht – für die Fitteren, die mit der supertollen Ausrüstung, die mit ganz viel Erfahrung. Und manchmal stimmt das sogar. Steph Wetherell hat es trotzdem gewagt: Mit normalen Schuhen und einem alten Tourenrad stellte sie sich einem berühmt-berüchtigten Rad-Klassiker. Ob drei Monate Training und ein wenig Selbstvertrauen ausreichen, um es ins Ziel zu schaffen? Lies weiter und finde es heraus.
Catherine
Chefredakteurin Notes from Outside
Einen Tag vor dem Profirennen wird die Strecke des berühmten Frühjahresklassikers für alle freigegeben, in diesem Jahr also für 16000 ambitionierte Amateurinnen und Amateure – und für mich. Mein Start beginnt in einem Wirrwarr aus Emotionen: Vorfreude auf das, was kommt, gemischt mit dem nagenden Gefühl, dass ich hier überhaupt nicht hingehöre.
Mit meiner Größe 48 und einem 10 Jahre alten Tourenrad stehe ich zwischen Tausenden superfitter Radfahrer:innen auf sündteuren Hightech-Rennrädern. Nachdem mir ein Freund von lauter Euro-House-Musik und Waffeln an den Rastplätzen erzählt hatte, hatte ich eigentlich mehr Hobbyfahrer:innen erwartet. Das machte für mich die Aussicht, auf den Spuren von Legenden wie Eddy Merckx und Marianne Vos die berühmten Anstiege zu bezwingen, noch verlockender. Das tatsächliche Teilnehmerfeld ist zwar etwas anders als erwartet, aber ich konzentriere mich einfach auf mein großes Ziel: Ankommen – und Spaß haben.
Zusammen mit meinem Partner reihe ich mich in die Menge der Radfahrer:innen ein, die unter dem Startbogen durchfahren, und ich muss mich schnell ans Fahren in der Gruppe gewöhnen. Die Nähe zu den anderen Fahrer:innen und die vielen Handzeichen sind anfangs gewöhnungsbedürftig. Doch als wir Oudenaarde hinter uns lassen und die Landschaft genießen, entspanne ich mich etwas. Zeit bleibt allerdings nicht, denn die erste Steigung erwartet uns bereits: der Wolvenberg.
Das Feld spült mich wie eine Boje mit und so schaffe ich es überraschend mühelos (und mit breitem Grinsen) bis ganz nach oben. Nach kurzer Erholungspause kommt dann der erste Kopfsteinpflaster-Abschnitt: die 1,4 Kilometer der Kerkgate, direkt gefolgt vom kurzen, aber heftigen Holleweg. Am Ende brennen meine Arme, meine Finger kribbeln und mein Hintern tut etwas weh, aber ich strahle über das ganze Gesicht. Bis jetzt finde ich Kopfsteinpflaster noch richtig spaßig.
Die erste Raststation kommt schneller als erwartet, und nach einer Stärkung mit den heiß ersehnten Waffeln stehen wir vor einer der größten Herausforderungen des Tages: dem berühmten Koppenberg. Anfangs geht es sanft bergauf, ich halte gut mit – bis die Steigung dann auf bis zu 22 % anzieht. Ich entscheide mich, den anderen Radfahrer:innen zu folgen und mein Rad den schmalen Weg hinaufzuschieben. Während ich an den Leuten vorbeigehe, die sich in Klickschuhen über die schlammigen Kopfsteine kämpfen, wird mir klar, dass meine Turnschuhe doch einige Vorteile haben.
Der nächste Kopfsteinpflaster-Abschnitt ist die zwei Kilometer lange Mariaborrestraat. Der Anstieg und die ständigen Vibrationen gehen mir ziemlich auf die Arme, also mache ich eine kurze Pause, um meine Hände etwas zu stretchen. Es folgen eine Reihe kurzer, steiler Kopfsteinpflaster-Anstiege. Ich fahre, bis meine Gänge nicht mehr ausreichen und meine Beine brennen. Jedes Mal, wenn ich absteigen muss, verdränge ich die Enttäuschung und fokussiere mich stattdessen darauf, mein Ziel zu erreichen. Was mich etwas beruhigt: die anderen, die hier auch lieber schieben statt zu fahren.
Nach all den Anstiegen werden wir endlich mit einer wohlverdienten Abfahrt belohnt: Meine Beine können sich erholen, während ich fröhlich mehrere Kilometer ohne zu treten dahinrolle. An der nächsten Verpflegungsstation halten wir an, und mir wird klar, dass wir schon über die Hälfte geschafft haben. Es liegen nur noch ein paar Anstiege vor uns. Ich beiße in eine weitere Waffel und beginne zu glauben, dass ich es wirklich schaffen könnte.
Auch der nächste Anstieg zwingt mich wieder zum Absteigen, aber den zweiten – die Karnemelkbeekstraat – schaffe ich mit voller Kraft bis nach oben, begleitet von den „Allez, allez“-Rufen einer Gruppe in Kostümen. Als wir den 2,5 Kilometer langen Oude Kwaremont erreichen, treffen wir auf viele Radsportfans, die sich die besten Plätze für das offizielle Rennen der Flandern-Rundfahrt am nächsten Tag sichern. Angetrieben von meinem bisherigen Erfolg und von der Nähe zum Ziel, gebe ich am Anstieg nochmal alles. Im steilsten Mittelstück zwingen mich Schlamm, Kopfsteinpflaster und Steigung für ein paar hundert Meter allerdings erneut zum Absteigen. Doch bald sitze ich wieder auf dem Rad, angefeuert
Das Ziel ist fast zum Greifen nah, nur der legendäre Paterberg steht noch im Weg. Schon nach ein paar Pedaltritten merke ich, dass dieser Hügel viel zu viel für meine müden Beine ist. Also steige ich früh ab und beobachte die anderen Fahrer:innen. Ein totales Chaos. Einige kommen im falschen Gang zum Stillstand und fallen seitlich in den Schlamm, weil sie ihre Klickschuhe nicht rechtzeitig lösen können. Die vielen schiebenden Fahrer:innen versperren den fahrenden den Weg – und überall ertönen Rufe in verschiedensten Sprachen, die um Platz zum Durchfahren bitten.
Die letzten 15 Kilometer auf den flachen Straßen vergehen wie im Flug, und ehe ich mich versehe, ist die Ziellinie vor uns. Mein Partner und ich versuchen noch halbherzig einen Schlusssprint (Spoiler: Ich verliere) und überqueren dann die Linie. Ein bewegender Moment – mir wird klar, dass ich trotz all der Monate des Trainings und der Vorbereitung nie wirklich sicher war, ob ich diese Strecke schaffen würde. Aber ich habe es geschafft. Und wie man am breiten Grinsen auf meinem Gesicht während der gesamten Strecke gesehen hat: Ich habe es sogar genossen. Jetzt, mit Finisher-Medaille um den Hals und einem kühlen Bier in der Hand, sind die anfängliche Nervosität und der Zweifel längst vergessen. Ich gehöre hierher – auch mit meinem alten Tourenrad, meinen komischen Schuhen und meiner Plus-Size-Figur.
Text und Fotos von Steph Wetherell
Steph Wetherell ist die Mitbegründerin von Every Body Outdoors, einer britischen Community, die sich für mehrgewichtige Menschen in der Outdoor-Welt einsetzt. Sie bieten spezielle Kurse an, organisieren Zusammenkünfte und arbeiten mit der Outdoor-Branche zusammen, um dort die Sichtbarkeit zu erhöhen und das Angebot passender Bekleidung zu verbessern.