Gettenbach ist ein Waldstraßendorf, ohne Durchgangsstraße, das zwischen Gelnhausen und Büdingen liegt. Viele kennen das Hotel-Restaurant „Gut Hühnerhof“ in der Nachbarschaft und den Golfplatz.
Von der Eichelskopfstraße, die sich durch den gesamten Ort zieht, zweigen die Wege „Köhlerkopf“ und „Kohlplatte“ ab, untrügliche Hinweise auf frühere Köhlermeiler. Im 17. Jahrhundert bestand in Gettenbach ein Eisenhammer, der Kanonenkugeln und Kanonenrohre für den 30-jährigen Krieg und den Pfälzischen Erbfolgekrieg herstellte. Für das Härten und Schmieden des spröden Roheisens brauchte man große Mengen an Holzkohle, ebenso viel Scheitholz für die Schmelzöfen.
1692 übernahm Meyer zur Weißen Rose, ein hochbegabter Ingenieur jüdischen Glaubens, den bis dahin vom Fürstenhaus persönlich geführten Eisenhammer zur Pacht und entwickelte ihn erfolgreich weiter.
Ab 1695 errichtete die in Breitenborn ansässige Glasmacher-Dynastie Wenzel & Söhne einen Zweigbetrieb in Gettenbach, in dem große Mengen an Trinkgläsern hergestellt wurden, die bis nach Holland verkauft werden sollten.
Nur einige Jahre später wurde zusätzlich eine Papiermühle eingerichtet, in der hochwertige Schreibpapiere hergestellt wurden, die auch von Goethe verwendet und bis New York exportiert wurden.
Eisenhammer, Glashütte und Papiermühle hatten alle das gleiche Problem. Sie brauchten Händler, die weit ins Land hinaus und möglichst auch im Ausland verkaufen konnten. Diese Rolle übernahmen Bürger jüdischen Glaubens kompetent und erfolgreich, da sie über weit verzweigte Netzwerke verfügten.
Ab 1692 siedelten sich immer mehr jüdische Familien in Gettenbach an. Um 1710 entstand der jüdische Friedhof sowie eine Synagoge. Mit der Gettenbacher Allianz von Produktion und Handel gelang es, den lokalen Wirtschaftsboom fast 100 Jahre am Laufen zu halten. 1786 machte die jüdischen Bürger bereits zwei Drittel der gesamten Einwohnerschaft aus.
Doch dann kollabierte das Gettenbacher Wohlstandsgefüge. 1790 schloss die Glasmanufaktur. Holzgefeuerte Gewerbetriebe waren nicht mehr konkurrenzfähig. Das gesamte Gettenbacher Industrieareal verwaiste.
Viele jüdische Familien entschlossen sich in ihrer Not, in das aufstrebende Preußen oder nach Amerika auszuwandern. Im Zeitraum zwischen 1790 und 1890 halbierte sich die Gettenbacher Bevölkerung.
Nach einem kurzen Aufschwung in preußischer Zeit, als jüdischen Bürgern neue Freiheitsrechte eingeräumt und sie ihre staatsbürgerlichen Rechte wahrnehmen konnten, ging die jüdische Ära in der Zeit des Braunen Mobs endgültig zu Ende. 1941 mussten die letzten jüdischen Bürger Gettenbach verlassen.
Auf dem ehemaligen Industrieareal wurde das Gettenbacher Schloss gebaut, das heute eine Betreuungseinrichtung für seelisch pflegebedürftige Menschen ist.